Die Blockflöte litt. Und der Lehrer mit. «Rolf», meinte dieser eines Tages kopfschüttelnd, «aus dir wird nie etwas.»
Rolf Fritschi, 55, Lastwagenchauffeur mit der Lizenz zum Singen, lacht, wie er diese Episode erzählt. Die Blockflöte flog danach zwar bald beiseite – die Musik nicht. «Ich sog Musik förmlich in mich hinein und sang alles nach», erzählt Fritschi. Im Stall, im «National», auf dem seine Eltern wirteten, auf dem Schulweg, auf dem Mofa.
Auf Letzteres schwang er sich eines Tages auch, er war 17, um nach Brugg zu rattern und sich im Musikgeschäft Bieri eine Heimorgel zu kaufen. Wieder muss Fritschi lachen. «Wie ich die Orgel auf dem Töffli transportieren wollte, ist mir bis heute schleierhaft.»
Er kaufte auch keine. Denn als er das Musikgeschäft betrat, fiel sein Blick auf eine E-Gitarre. «Die muss ich haben», sagte er sich, sagte es dem Verkäufer – und zottelte mit der Gitarre davon. Er brauche noch einen Verstärker, rief ihm der Verkäufer nach. «Nein», antwortete Fritschi. «Das geht auch ohne.»
Es ging – zumindest so lange, bis sich Fritschi, der Autodidakt, die Grundgriffe beigebracht hatte. Dann holte er sich den Verstärker doch noch. Und zwei Jahre später, inzwischen vom Virus befallen, seine erste akustische Gitarre.
Der Schlager-Irrtum
Heute besitzt er deren elf und heute gehört er zu den festen Werten in der Schweizer Country-Szene. «Schuld daran ist Johnny Cash», meint er schmunzelnd. «Seine Songs zogen mir mit 17 den Ärmel rein. Seither lebe ich den Country.»
Mit einem Country-Song von John Denver meldete sich Fritschi 1982 auch zu seinem ersten Contest an, einem Schlagerwettbewerb. Der Veranstalter bearbeitete ihn – und Fritschi trat ihm zuliebe schliesslich mit einem Schlager auf. «Grauenhaft. Gar nicht mein Ding», erinnert sich Fritschi.
Grauenhaft war auch der Autounfall, den er zwei Jahre zuvor erlitten hatte. Er war halbseitig gelähmt und der Arzt sagte zu ihm: «Den rechten Arm können Sie nie mehr bewegen.» – «Dir zeig ich es», dachte sich Fritschi, «Dich werde ich mit dem rechten Arm noch verkloppen.» Er behielt recht, nach einem Jahr Therapie und hartem Training war der rechte Arm wieder fit; das mit dem Verkloppen liess er tunlichst bleiben.
Mit dem Zweihänder unterwegs
Seither ist Rolf Fritschi mit dem Zweihänder unterwegs: Mit Rechts spielt er Gitarre und schreibt, mit Links führt er feinmotorische Arbeiten aus. «Glück gehabt», meint er, im Wissen, dass das Glück oft auf seiner Seite stand. Auch im Februar 2009, einem Freitag, den 13. Zusammen mit seiner damaligen Band spielte er am Country-Festival im Zürcher Albisgüetli.
Die Europamanagerin der Bellamy Brothers, die eine Woche später ebenfalls im Albisgüetli auftraten, ist vor Ort, ist begeistert von Fritschis Stimme («mein Kapital») und lässt ihn anfragen, ob er nicht in Nashville («dem absoluten Mekka der Countrymusik») auftreten will. Er will, unbedingt, ist aber skeptisch, ob das Mail, das er bekommen hat, auch wirklich stimmt.
Eine Woche später bekommt er einen Vertrag zugeschickt – datiert vom 1. April. «Ja, auf die Schippe nehmen kann ich mich selber», schreibt er zurück – und bekommt postwendend ein Mail zurück. «Nein, nein, es stimme, er sei gebucht; man könne unter den Vertrag auch ein anderes Datum setzen.» Er schüttelt den Kopf. «Damit wurde mein Traum wahr – und das nur, weil ich im richtigen Moment am richtigen Ort war.»
Kalte Füsse inklusive
Drei Monate später sitzt er im Flieger nach Nashville, Tennessee. In einem Jeep, Typ: uralt, chauffiert ihn Gitarrist Mike Loudermilk in die Stadt, in einem Hinterhof wird geprobt, «alles extrem einfach, aber superprofessionell».
Die letzten Minuten vor seinem Auftritt sitzt er in einem Tourneebus vor dem Lokal. «So kalte Füsse hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie», erzählt er. «Am liebsten wäre ich davongerannt.» Er bleibt, wird als «Rrrrolf» angesagt (den Nachnamen kann sich der Speaker partout nicht merken) – und hat einen Super-Gig. «Die Musiker, alles Profis, trugen mich, das Publikum ging mit», erinnert er sich an seinen 15-Minuten-Auftritt.
Erst danach, als der Körper wieder auf Normalbetrieb arbeitete, merkte er, wie hungrig er eigentlich war: Die letzten beiden Tage vor dem Auftritt hatte er keinen Bissen heruntergebracht.
Vier Jahre später, im Januar 2013, reist Fritschi wieder nach Nashville. Diesmal, um seine erste CD aufzunehmen. «Ein Sponsor finanzierte mir einen Teil der Aufnahmen, ein Reisebüro übernahm die Hotelkosten.» Und im Sommer 2013 ist der Schweizer bereits wieder in Nashville: Sein Produzent Billy Yates ermöglicht ihm einen Auftritt in seiner grossen Show, in der er die Songs seiner CD live vorstellt. «Das war einfach genial.»
Rolf Fritschi lehnt sich in seinem Sessel zurück, blickt sich im Wohnzimmer um, wo Fotos an seine Auftritte erinnern, Hüte an sein Markenzeichen («ich trete nie ohne Hut auf»), Modelllastwagen an seinen Beruf und Souvenirs an seine «unglaublich treuen Fans», meint dann: «Ich hatte in meiner Karriere wirklich viel Glück.»
Einem solchen Glücksfall hat Fritschi auch den Auftritt am diesjährigen Schupfart-Festival zu verdanken. Im letzten Jahr arbeitete er mit einer Managerin zusammen. «Das funktionierte nicht. Ich schrieb alle potenziellen Veranstalter an, um ihnen mitzuteilen, dass ich wieder ohne Management unterwegs bin.» Tags darauf bekam er Mail-Post aus Schupfart. «Innert 24 Stunden waren wir uns einig.» Und so tritt Fritschi mit seiner Band am 26. September neben internationalen Country-Grössen wie den Bellamy Brothers («meine Lieblingsband») oder Truck Stop auf.
Das Fahren liegt ihm im Blut
Wie diese die Musik zum Beruf machen, nein, das will Fritschi nicht. «Dafür liebe ich meinen Job als Chauffeur zu sehr.» Er lacht. «Das Fahren liegt mir halt genauso im Blut wie die Musik.» Und was hört er, der Mann, der stets mit Dreitagebart und Cowboyhut auf der Bühne steht, wenn er mit seinem schweren Truck über die Schweizer Highways kurvt? «Country, natürlich – aber ohne Hut.» Denn den setzt er nur auf, wenn er auf der Bühne steht.
Dass ihn viele Country-Fans ohne den Hut nicht erkennen, ihn auf der Strasse mit dem typischen «Den kenn ich doch – aber woher bloss?»-Blick anschauen, ist ihm recht. «Ich geniesse es, im Alltag unerkannt zu bleiben.»
Einen Traum – man kann auch sagen: das Flashback eines Traums möchte Fritschi nur allzu gerne erleben: Eine zweite CD aufzunehmen, diesmal mit möglichst vielen eigenen Songs (die erste CD enthält ein selbst komponiertes Lied). Wo? «Was für eine Frage», antwortet Fritschi. «In Nashville natürlich. Etwas anderes gibt es nicht. Denn dort schlägt mein Herz.»